Rosaria ist eine Ordensschwester der Favonius-Kathedrale in Mondstadt.
Obwohl sie dort alle Geistliche sind, neigen die Leute dazu, sie stets anders zu behandeln als Barbara, Jilliana und die anderen.
Allein durch ihr Äußeres würde man sie für eine Geistliche halten, aber ihre alltäglichen Worte und Handlungen entsprachen ganz und gar nicht denen einer Geistlichen.
Sie hat weniger Ehrfurcht vor den Göttern als der gewöhnliche Bürger von Mondstadt und besucht an Wochentagen nie die Aktivitäten der Kathedrale.
Sie bleibt gern für sich und macht auch sonst alles allein. Gelegentlich taucht sie in der Kathedrale auf, sitzt dann aber nur in der letzten Reihe der Bänke und raucht leise vor sich hin.
Rosaria ist einfach nur auf dem Papier eine Figur der Kathedrale.

Allein dieses widerspenstige Verhalten von Rosaria würde ausreichen, um dutzende Male von der Kathedrale angemahnt zu werden.
Aber aus irgendeinem Grund scheint ihr das bisher nicht geschadet zu haben. Sie unternimmt kaum etwas mit den anderen Geistlichen und kommt nur selten mit den Bürgern in Kontakt.
Die magische und geheimnisvolle Rosaria ist wie eine schwarze Rauchfahne, die ohne jegliche Vorankündigung einfach spurlos verschwindet.
Ihr Privatleben war nicht gerade aufregend und sie hatte kaum Kontakt zu irgendjemandem.
Laut Schwester Victoria jedoch hatte die gutmütige Barbara einst versucht, Rosaria etwas näherzukommen.
Bitte rauch nicht in der Kathedrale und versuch doch, pünktlich zur Messe zu erscheinen ...
He, he, hör mir bitte zu!
Die besorgte Barbara lief Rosaria ständig hinterher und drängte sie dazu, verschiedenste tägliche Aufgaben zu erledigen.
Im Angesicht von Barbara, dem beliebten Star war Rosaria bereits völlig abgestumpft.
Sie war doch nicht etwa ... eine hartherzige Person, oder?

Wo Rosaria sich täglich aufhielt, war schwer vorherzusagen, oft verschwand sie tagelang, ohne jemandem Bescheid zu geben.
Wenn dies geschah, wussten die anderen Ordensschwestern nie, wo sie am besten nach ihr suchen sollten.
Eine gewisse Schwester, die sie stärker beaufsichtigen wollte, beklagte sich stets darüber: „Selbst wenn sie eine streunende Katze wäre, die gefunden würde, hätte sie wenigstens etwas sagen sollen, bevor sie weglief ...!“
Rosaria, die sich in dunklen Ecken versteckt hielt, erledigte dann die Arbeit, die nur sie in Ruhe und Abgeschiedenheit erledigen konnte, wobei sie niemand sehen konnte.
Seltsame Händler, verdächtige Reisende, sind diese Leute vielleicht schädlich für Mondstadt?
Sie würde Untersuchungen anstellen, sie aufspüren und, wenn nötig, sie sogar foltern.
Wenn sie letztendlich aus der Stadt verschwinden sollten, müsste Rosaria die letzte Person sein, die sie sieht.
Die Arbeit in den Schatten, die Arbeit, bei der man kein Tageslicht zu Gesicht bekommt, wird von Rosaria erledigt.
Sie zog stets nach Sonnenuntergang los und beendete die anfallende Arbeit dann in einem Atemzug. Manchmal kehrte sie in der Morgensonne des nächsten Tages mit einem Frühstückswein zurück.
Während die Bewohner von Mondstadt im goldenen Sonnenlicht lebten, war Rosaria das silbrige Mondlicht gewohnt.
Silbriges, helles, kaltes Licht ... fast genau wie ihr eisiger Elementarzauber, den sie so gut beherrscht.
„Es gibt einige Dinge, die die jungen Leute noch nicht zu wissen brauchen.“
Für Rosaria sind die Bewohner von Mondstadt, die im ständigen Sonnenlicht lebten, unabhängig von ihrem wirklichen Alter, alles „junge Leute“.

Rosaria, der fast alles gleichgültig ist, ist wie eine schwer zu fassende Rauchwolke.
Wenn sie jedoch einmal ihre Arbeit angeht, tut sie ihr Bestes, um ihre Aufgaben mit einer sehr geschäftsmäßigen Einstellung zu erledigen.
Die auf den ersten Blick scheinbar faule Rosaria wird niemals nachlässig, wenn es darum geht, verdächtige Personen zu quälen.
Sie hat auch einen ungewöhnlich starken Händedruck, kennt die Schwächen des menschlichen Körpers wie ihre Westentasche und hat keinerlei negativen Gefühle, sollte sie töten müssen.
Die entspannte, manchmal faule Ordensschwester ist in Wirklichkeit ein erstklassiger Scharfrichter hinter den Kulissen.
Sie lebt unter dem Licht der Götter, trägt aber gleichzeitig diese Art von Mission mit sich herum.
Warum und wie wurde sie ein Folterknecht mit Blut an den Händen?
Warum konnte sie nicht wie die anderen den Segen der Götter besingen?
Hinzu kam noch, dass Rosaria keine gebürtige Mondstädterin war.
„In einer Stadt, die so glücklich und uninteressant ist wie diese, muss es auch Leute geben, die die Drecksarbeit machen.“
Rosaria sagte dies träge, während sie ihre Zigarette abklopfte.
„Es ist viel einfacher für mich, diese Arbeit zu tun, als das langweilige Leben einer braven Ordensschwester zu leben.“

Selbst Rosaria, die selbst überhaupt nicht betet, hat eine einzigartige Perspektive auf die Theologie.
Für sie ist die Freiheit das geistige Rückgrat der Bewohner von Mondstadt und es ist genau diese Freiheit, die sie dazu gebracht hat, sich hier niederzulassen.
Geboren in einem abgelegenen Bergdorf wurde Rosalia kurz nach ihrer Geburt von einer Diebesbande entführt, die das Dorf ausgeraubt hatte.
Aufgewachsen bei Dieben lernte sie von klein auf Kampffähigkeiten und arbeitete später, als sie größer war, selbst als Diebin und erledigte für die Diebesbande Gelegenheitsjobs.
Sie war sowohl ein Sklave als auch eine Maschine, ein Dieb und ein Kind zugleich.
Kämpfe mit Außenseitern und Kämpfe mit Gleichaltrigen, der Kampf mit Hunger und Kälte und das Aufwachsen im Wettbewerb.
Rosarias Kindheitstage sind wie die untergehende Sonne gespiegelt im Mond, Blut, so weit das Auge reicht, nur um aus diesem Albtraum aufzuwachen und festzustellen, dass es schon zu spät ist.
Die Diebesbande wurde einige Jahre später von den Rittern des Ordens ausgelöscht. Als jüngstes Mitglied wurde Rosaria als reue- und lernfähig angesehen.
Der Großmeister des Ritterordens Varka brachte sie nach Mondstadt. Er wünschte Rosaria alles Gute bei ihrer Eingliederung in Mondstadt und ermahnte sie: „Geh in die Kathedrale und reinige dich im Licht der Götter. Du kannst wieder ganz von vorn anfangen und wie ein normaler Mensch leben.
Doch Varka rechnete nicht damit, dass Rosaria wiederholt den Unterricht schwänzen und den Chor ohne ersichtlichen Grund versäumen würde.
Sie würde viel lieber in der Wildnis jagen, als eine friedliche Ordensschwester zu sein. Für sie war es das goldene Sonnenlicht, das der störende Stachel war.
Rosaria hatte schon viele Jahre zuvor verstanden: Sie war ein Kind des Mondes und früher oder später würde sie in die Dunkelheit zurückkehren.

Rosaria, die Schulschwänzerin Nummer eins der Kathedrale, war schon zu Studienzeiten als Königin der Schulschwänzer bekannt.
„Rosaria, bitte achte auf dein Verhalten! Als Ordensmitglied hast du noch kein einziges Mal bei den Aktivitäten des Chors teilgenommen!“
„Nicht so hastig, Schwester Ophila. Rosaria mein Kind, ich habe gehört, du hast noch an keiner unserer Klassen teilgenommen?“
„Das ist korrekt.“
„Übrigens, Aufseherin Maria, bitte seht Euch das an ... Das ist Rosarias Theologie-Klausur, ein einziges Chaos!“
„Rosaria, bei allem gebührenden Respekt, aber hast du vor, weiter in der Kathedrale zu arbeiten?“
„Nicht wirklich. Ich habe mir bereits andere Arbeit gesucht.“
Rosaria war kein bisschen nervös, als sie dies kundtat. Anscheinend war sie wirklich besser für dunklere Arbeit außerhalb des Lichts der Kathedrale geeignet.
Erstaunlicherweise entpuppte sich diese Arbeit aber als Arbeit im Namen der Kathedrale.
„Ordensschwester in Ausbildung“ Rosaria verließ die Kathedrale letztendlich doch nicht, sondern wurde sogar noch befördert zur richtigen „Ordensschwester“ Rosaria.
Wenn sie gerade keinen Auftrag hatte, vermied sie Aktivitäten der Kathedrale um jeden Preis, verbrachte Zeit in der Taverne oder genoss die Aussicht an der Sturmwacht.
Arbeite niemals Überstunden, auch wenn du es nicht verhindern kannst.
Wenn es Zeit ist zu gehen, ist Rosaria die Erste, die weg ist.
Ihre feste Regel ist es, niemals Überstunden zu schieben.

Ein Notizbuch mit einem weißen Einband. Auf der Vorderseite steht „Favonius-Kathedrale“ geschrieben.
Der Besitzer des Notizbuches hat eine schöne Handschrift, jedoch der Inhalt ist ein wenig durcheinander.
„Löwenzahnschnaps, 20 % Rabatt!“
„Fischerschnitte, zu einem Preis, den du nicht erwartet hättest. Koste das Essen deiner Träume!“
„Der Rabatt auf Weizen ist unglaublich. Wer Hilfe braucht, kann dem Ladenbesitzer eine Nachricht hinterlassen.“
Tomaten, kaufe drei und bekomme eine umsonst!“
„Frisches Lampenkraut, eignet sich besonders als Lampe im Badezimmer! He, du da, komme und staune!“
Jede Menge Werbesprüche standen dort in makelloser Handschrift geschrieben.
Dieses Notizbuch gehört der zu jener Zeit noch in Ausbildung befindlichen Ordensschwester Rosaria.
Man kann sich gut vorstellen, wie sie ihre Zeit auf den Dächern der Läden verbrachte, während sie die Schule schwänzte und all diesen tollen Sprüchen lauschte.

Rosarias „Göttliches Auge“ kam in einer bitterkalten Nacht zu ihr.
Es war eine besonders schwierige Zeit für die Gruppe von Banditen, da sie nicht mehr genug Essen hatte, um jeden satt zu bekommen.
Sie hatte sowieso nie genug zu essen. Als sie es nicht mehr aushalten konnte, in eisiger Kälte mit hungrigem Magen zu arbeiten, floh sie in tiefster Nacht.
Einer der ältesten von den Banditen verfolgte sie und holte sie letztendlich ein. Er war es auch, der sie aus ihrem Dorf entführt und ihr beigebracht hatte, wie man tötet.
„Jemand der flieht, ist ein Verräter. Nur jemand, der sich seine Freiheit im Duell erkämpft, ist wahrlich frei.“
Der alte Bandit warf einen Dolch vor Rosarias Füße.
„Komm schon, töte mich, damit du hier weg kannst. Ich bin ein alter Löwe, du nur ein junges Kätzchen. Was kannst du schon ausrichten?“
Die wenigsten glaubten, dass Rosaria ihn wirklich umbringen würde. Letztendlich jedoch starb der alte Löwe durch die Tatze der jungen Katze.
An jenem Abend verloren die Banditen ein altes Mitglied, gewannen jedoch auch ein neues hinzu.
Das Interessante daran ist, die anderen Banditen waren erst zögerlich, sie als Mitglied zu akzeptieren, änderten aber schnell ihre Meinung, als sie das „Göttliche Auge“ in ihrer Hand bemerkten.
Jemand, der ein Göttliches Auge besitzt, muss bestimmt mehr drauf haben als der alte Bandit. Außerdem isst sie weniger als der Alte, das allein ist schon ein Vorteil.
Plötzlich flackerte eine Frage in Rosarias Kopf auf:
Ob der alte Bandit sie mit Absicht hat gewinnen lassen? Hat er sie aus dem Dorf entführt, um ihr ein guter Vater zu sein?