Xiao mag zwar das Aussehen eines jungen Mannes haben, aber sein wahres Alter liegt bei bereits über zweitausend Jahren.
Glücklicherweise unterschätzen die Leute ihn nicht aufgrund seines jugendlichen Aussehens, denn man muss nur eine kurze Zeit mit Xiao verbringen, um zu verstehen, dass er niemand ist, mit dem man sich anlegen sollte.
Xiao ist ein Mann weniger Worte. Er ist sehr gefährlich und hat den durchdringendsten Blick, den man jemals zu Gesicht bekommen wird.
Er genießt dennoch einen hervorragenden Ruf unter den Adepten, ist trotz seiner höheren Stellung dort aber unter den Sterblichen relativ unbekannt.
Dies kommt daher, dass er weder eine dieser populären Gottheiten ist, zu denen die Menschen um Reichtum und Schutz beten, noch ein mystischer Weiser vom Jueyun-Karst, zu dem Pilger auf der Suche nach göttlicher Weisheit strömen.
Im Gegenteil, wenn ein Sterblicher das Pech hat, Zeuge zu sein, wie Xiao seine wahre Kraft entfesselt, kann man davon ausgehen, dass man sich in einigem Schlamassel befindet, und sich glücklich schätzen, diese Tortur zu überleben.
Xiao versucht nicht absichtlich den Menschen zu schaden. Er ist es einfach nur gewohnt, Krieg gegen dunkle Mächte zu führen, die stark genug sind, um ganz allein Liyue in seiner Gesamtheit zu verschlingen, und daher fallen alle Zuschauer, die ihn in der Hitze des Gefechts beobachten, wahrscheinlich in die Kategorie Kollateralschaden.
Nur um klar zu sein, dies bedeutet einfach, dass derartige Umstände schwer zu vermeiden sind, nicht, dass Xiao Zeugen so zum Schweigen bringt.

Womit genau ringt Xiao in seinem Leben?
Die zurückhaltende Antwort darauf wäre alter Groll, unerfüllte Träume und der Schmerz von Niederlagen.
Die uneingeschränkte Wahrheit jedoch ist, dass Xiao gegen die Überreste der besiegten Götter aus dem Archontenkrieg kämpft, der vor dem Aufstieg der Sieben stattgefunden hat.
Morax besiegte damals jene Götter und vergrub ihre Überreste unter den Felsen.
Götter sind jedoch unsterblich. Ihr Bewusstsein mag verblassen, aber ihre Macht und ihr Hass werden wie ewiges Gift bestehen bleiben, sich ausbreiten und die Welt und ihre Bewohner unerbittlich ins Chaos stürzen.
Liyues Herrscher, die sich der Wahrheit über Xiao bewusst sind, nennen ihn nach seiner jahrtausendelangen Erfahrung den „Geistervertreiber“.
Der Krieg, den er führt, kann niemals gewonnen werden und er wird auch niemals zu Ende gehen.
Es ist ebenfalls ein unsichtbarer Krieg, für den niemand jemals Zeuge sein oder ihm danken wird.

Xiao ist nicht der wahre Name dieses Yakshas, sondern ein Name, der ihm im Interesse seines eigenen Schutzes gegeben wurde.
Damals in einer naiveren Zeit hatte ein Gott Xiaos Schwäche gefunden und ihn dazu versklavt als seine Marionette zu dienen, was ihn zu grausamen und blutigen Taten drängte.
Viele starben durch seine Hand, Hoffnungen wurden zerstört und er wurde sogar dazu gezwungen, die Träume seiner Opfer zu verschlingen. So sehr es ihn auch schmerzte, er war einfach hilflos, jenem Gott Widerstand zu leisten.
Schließlich hatte Morax, der Geo-Archon, auf dem Schlachtfeld des Archontenkriegs eine schicksalhafte Begegnung mit dem Herrn des Yakshas.
Der gegenwärtige Zustand der Welt spricht für das Ergebnis dieser Schlacht.
„Rex Lapis“ befreite den Yaksha und gab ihm den Namen „Xiao“.
„In den Fabeln einer anderen Welt ist der Name Xiao der eines dunklen Geistes, der großes Leid und große Not erlebt hat. Er hat so viel Leid ertragen. Dies soll von nun an dein Name sein.“

Um dem Geo-Archon seine Dankbarkeit auszudrücken, übernahm Xiao in den folgenden Jahrtausenden die Last, Liyue zu beschützen.
Seine Vergangenheit im Dienste des bösen Gottes hatte Xiao von seiner Unschuld und Sanftmut befreit. Alles, was ihm blieb, waren die Mittel zum Töten und die Last seiner Sünden.
Der einzige Weg, wie er den Sterblichen dienen konnte, war im Kampf.
Aber was konnten die Leute im Gegenzug für ihn tun?
Diese Frage würde für immer bleiben. Der reine Anblick von Xiao, selbst aus weiter Ferne, war einschüchternd genug, um die Leute sofort um ihr Leben rennen zu lassen.
Wenn aber jemand etwas Wertschätzung für Xiao zeigen wollte, gab es vielleicht doch eine Sache, die man versuchen konnte.
Es gibt einen bestimmten Geheimagenten der Qixing, der die Aufgabe hat, Xiao in seinem Kampf gegen die Mächte des Bösen zu unterstützen. Dieser Geheimagent führt eine Deckoperation namens Gasthaus Wangshu durch.
Gelegentlich hält Xiao beim Gasthaus an, um eine Schüssel Mandeltofu zu essen und wenn man dabei den Ausdruck auf seinem Gesicht sieht, gibt es keinen Zweifel, er liebt dieses Gericht wirklich.
Um genauer zu sein, ist Xiao der süße Geschmack egal. Es ist die Textur, die er so unwiderstehlich findet. Anscheinend ist sie der der Träume, die er früher verschlungen hat, sehr ähnlich.

Womit genau ringt Xiao eigentlich?
Die Machthaber in Liyue wissen von Xiaos Kampf gegen die bösen Manifestationen, die von den Überresten besiegter Götter hervorgerufen werden.
Wenn man Xiao jedoch dieselbe Frage stellt, wird er wahrscheinlich eine ganz andere Antwort geben.
Xiao wurde einst von einem bösen Gott versklavt und litt immens unter dessen Herrschaft, bis er schließlich seine Freiheit durch Rex Lapis’ rettende Hand wiedererlangte.
Xiaos Kräfte wurden von den Adepten zunächst hochgeschätzt, er schien alle Arten von Dämonen mit absoluter Leichtigkeit besiegen zu können.
Aber die bösen Götter hatten ebenfalls immense Macht und ihre Lust auf Rache ging tiefer, als bloße Sterbliche es sich jemals vorstellen konnten. Xiao schlachtete unerbittlich unzählige Manifestationen ihrer verbliebenen rachsüchtigen Seelen, dabei jedoch splitterten einige dieser Seelen. Letztendlich gelangten Splitter davon in Xiaos eigene Seele.
Die einzige Möglichkeit, diesen Hass auszurotten, besteht darin, die Schuld zu akzeptieren, die dies mit sich bringt. Aber das schlechte Karma, das Xiao im Laufe der Jahre angehäuft hatte und das ihn von innen heraus auffraß, war gigantisch.
Und dennoch fühlt Xiao keinen Hass. Nach über zweitausend Jahren ist diese Schuld nicht mehr als eine flüchtige Erinnerung geworden.
Kein Groll kann Jahrtausende überdauern. Auch ist keine Schuld so groß, dass sie in dieser Zeit beglichen werden könnte.
Xiao wird sein ganzes langes Leben lang allein fristen, so wie er es schon immer getan hat.
Aber seine Kämpfe waren nie umsonst.
Denn letztendlich ist derjenige, mit dem Xiao ringt, sein eigenes Ich.

Gegen wen kämpft Xiao?
Die Reisende/Der Reisende weiß sehr wohl, dass Xiao die Dunkelheit bekämpft, die Liyue bedroht. Er will Liyue beschützen.
Doch wer wird ihn beschützen?
Einst wandte Xiao all seine Kraft auf in einer Schlacht, die von der Abenddämmerung bis zum Morgengrauen dauerte. Um Haaresbreite trug er den Sieg davon.
In der wilden Schlacht war ein gesamtes Schilffeld niedergemäht worden. Xiao rammte seinen Speer in den Boden und wollte die Heimreise antreten.
Aber Xiao besaß kein Heim. Wohin sollte er also gehen? Er zog nur von einer Schlacht zur nächsten.
Da fühlte Xiao wieder die schwere Erschöpfung, die der göttliche Hass seinem Körper zufügte.
Er fühlte sich von unbändigem Hass ergriffen und sank gepeinigt zu Boden.
Doch kaum war dieser Schmerz gekommen, war er auch schon wieder verschwunden.
Doch nicht Xiao selbst hatte sich gerettet, sondern der Klang einer Flöte.
Der lieblich klare Ton der Flöte kam von den Bergen und Flüssen her, der Wind trug ihn herüber.
Und die Musik spielte weiter bis zum ersten Licht des Tages, das einen fernen Vogelschwarm mit sich brachte.
Die Musik besänftigte seine wilden Sinne und brachte ihm für einen Moment Frieden.
Wer blies diese Flöte? Xiao war neugierig, doch verfolgte es nicht weiter, denn die Antwort schwante ihm bereits.
Die letzte Hilfe hatte er von einem der Sieben erhalten. Also war es dieses Mal wohl auch ...

Einst betrieb ein Gelehrter der Sumeru-Akademie in Liyue volkstümliche Studien. Das Ergebnis bildete das in verschiedenen Ausgaben erschienene Buch „Ausflug durch Liyue, das Reich des Gesteins“.
In Liyue heißt es „Schmuckkästchen Liyue“. Aus dieser Version sind allerdings viele mystische wie magische Seiten entfernt worden.
So findet sich in der vollständigen Fassung in der Akademie unter anderem das Kapitel „Gabe des schwebenden Geistes“.
Dort steht, obwohl die Yaksha mächtige wie aufrechte Adepten sind, litten sie aufgrund ihres Karmas unter großen Mühen und Qualen. In endlosem Leid streiften sie durch das Land.
In diesem Kapitel finden sich ebenfalls viele Wege, um den Yaksha Trost zu spenden, wie mit Nahrungsopfern, heiligen Gesängen und Ähnlichem, damit diese weiter den Frieden beschützen konnten.
Als edle Krieger unter den Adepten stiegen die Yaksha oft selbst auf das Schlachtfeld herab. Doch im Laufe der Jahrtausende wurden sie auf diese Weise beinahe vollständig ausgelöscht. Heute stehen in Liyue nur noch die übergroßen, verstümmelten Statuen der Yaksha, um die Dämonen zu bändigen.
Der Stil in diesem Buch war übrigens so gewunden und der Inhalt so dicht, dass es weit weniger Abnehmer fand als der Reiseführer Teyvat und die Kulturleitfäden der verschiedenen Regionen von El Musk.

Alle Adepten gelten als „erleuchtet“, in dem Sinne, als dass ihr „drittes Auge“ ihnen ein zusätzliches Licht gewährt, nämlich das Göttliche Auge.
Doch empfangen die Adepten ihr Göttliches Auge so wie die Menschen als eine Art Anerkennung aus Celestia?
Xiao kann sich nicht mehr daran erinnern, wie er sein Göttliches Auge empfing. Für einen Menschen wäre dies ein unvergesslicher Moment, doch für ihn war es nur der Anfang eines endlosen Kampfes.
Es ist eine ganz andere Sache, die Xiao nie wieder vergessen kann.
Die Menschen feiern viele Feste, doch nur wenige kennen ihre Ursprünge.
Die meisten liegen in der Auslöschung menschenfressender Monster durch die Adepten. Im Gedenken an diese uralten Heldentaten ahmten sie diese nach und führten Exorzismusrituale durch, bis daraus größere Feste wurden.
Manchmal brechen der Hass und die verbliebene Macht der von Morax besiegten, im Halbschlaf liegenden Götter in Liyue mit plötzlicher Gewalt hervor. Besonders groß ist diese Gefahr beim Laternenritual.
Während dieses Festes lautet Xiaos Aufgabe, den althergebrachten Tanz zur Geistervertreibung zu tanzen, der darin besteht, von früh bis spät zu kämpfen. Aus diesem Grund hasst er dieses Fest.
Xiao jedoch fühlte sich im Kampf nicht bedroht. Dank ihm würde es in Liyue sicher bleiben. Die Leute entzündeten ihre Laternen und die gesegneten Lichter leuchteten am Nachthimmel an der Küste.
In diesem Moment spürte Xiao eine seltsame Empfindung in seinem Herzen.
War es Einsamkeit? Frieden? Oder bloß die Sorge um die Zukunft?
Der jung wirkende Adept suchte in seinem Herzen nach Antworten, ohne sie zu finden.